Podiumsveranstaltung: Fair-Trade-Stadt
Unser Herrenberg kann mehr
Am 12. September 2024 fand auf Initiative des Herrenberger Vereins Faire Welt e.V. eine Podiumsdiskussion zum Thema Fair-Trade-Stadt Herrenberg statt. Moderiert wurde die Veranstaltung von Mirjam Hitzelberger vom Dachverband Entwicklungspolitik Baden-Württemberg.
Mit über 70 Personen war die Spitalkirche gut besetzt. Katja Klaus begrüßte als Vereinsvorsitzende die Anwesenden, stellte die Veranstaltung in den Kontext des 50-jährigen Jubiläums des Vereins Faire Welt und betonte, dass Herrenberg 2015 mit der ersten Auszeichnung als Fair-Trade-Stadt einen guten Start hingelegt hatte – mit einem aktiven Steuerungskreis und tatkräftiger Unterstützung der Stadtverwaltung. Dass inzwischen das Engagement deutlich nachgelassen habe und mit der Veranstaltung ein neuer Impuls zur Wiederbelebung gegeben werden solle.
Claudia Duppel führte zunächst ein in die Zusammenhänge zwischen Kolonialismus und weltweiter Ungleichheit an Wohlstand und Chancen auf Entwicklung zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden. Sie beschrieb den Fairen Handel als Beitrag zu einer solidarischen Lebensweise, als Gegenentwurf zur aktuellen imperialen Lebensweise, die Menschen und Planeten ausbeute.
Sie erläuterte die weltweiten Strukturen des Fairen Handels und die wichtigsten Akteure und Netzwerke in Deutschland. Die Fair Trade Town Kampagne setzt vor allem auf die kommunale Ebene, damit Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Bürgerschaft zusammenarbeiten, um gemeinsam den Handel fairer und die Lebensweise solidarischer zu gestalten.
Danach folgte das Podiumsgespräch. In einer ersten Runde stellte jede/r vor, für wen er/sie auf dem Podium sitzt, was deren/dessen Beitrag zur Förderung des Fairen Handels und zur Fair-Trade-Stadt Herrenberg ist und welche besonderen Highlights stattgefunden haben.
Christoph Dibon vertrat die katholische und die evangelische Kirchengemeinden, die beide als Faire Gemeinden zertifiziert sind. Es gehe darum, auf immer mehr faire Produkte umzustellen, die Beschaffung nachhaltiger zu gestalten und Öffentlichkeitsarbeit zu machen.
Simon Gerbith berichtete von der Schul-AG „Lust auf Zukunft“ am AGH, in der sich Schüler*innen engagieren, die sich für Fairen Handel, Klima und Umwelt interessieren. Sie haben schon Faire Schokoriegel verkauft und Schulstunden zu Kakao gestaltet. Als besondere Highlights erlebte er die Schulung zu Klimagerechtigkeit von Verein Faire Welt und DEAB und die Mitarbeit an der Actionbound Stadtrallye im Sommer, mit verschiedenen Stationen in der Stadt. Er habe viel gelernt und viel positives Feedback erhalten.
Veronika Gerlach vom Bioladen Keimling betonte, dass für sie eine faire Beschaffung wichtig ist für Menschen im Globalen Süden, aber auch bei uns hier. Sie lege Wert auf Saisonales und manche Produkte habe sie nicht, wenn diese aus Südafrika eingeflogen werden müssen.
OB Nico Reith erinnerte an die städtische Mitarbeiterin Ina Mohr, die die erste Zertifizierung vorangetrieben habe, an den Umweltbeauftragten Baumer und an Lena Schuld, die sehr engagiert waren. Danach habe es einen Cut gegeben. Er hoffe, dass die Veranstaltung zu einem neuen Aufbruch führe. Selbstverständlich würde in der Stadt Fairer Kaffee ausgeschenkt, die Stadt verschenke faire Schokolade, auf den Sitzungen gäbe es fairen Orangensaft. Er kündigte an, dass die Gleichstellungsbeauftragte Birgit Hamm nun auch Ansprechpartnerin für die Fair Trade Stadt sein werde.
Hanne Uelzen vom Verein Faire Welt wies auf das breite Engagement des Weltladens hin mit dem Verkauf zahlreicher Produkte sowie umfangreicher Bildungsarbeit. Das ganze Jubiläumsjahr sei voller Highlights, mit dem breite Schichten der Bevölkerung angesprochen werden; als Beispiele nannte sie das große Jubiläumsfest, das Stühleprojekt mit Familienfest im Otto‘schen Garten, die Stadtrundgänge und die faire Radtour.
Die Moderatorin führte dann in den zweiten Themenblock Nachhaltiger Konsum und Nachhaltige Beschaffung ein: Als einzelne Personen kaufen wir viele Produkte aus dem Globalen Süden. Aber es kaufen eben auch Institutionen / Kommunen ein. Deutschland hat eines der größten Beschaffungsmärkte in Europa. Davon sind 60% von den Kommunen. Gleichzeitig zeigt eine Bertelsmann-Studie, dass die nachhaltige Beschaffung in den Kommunen zurückgeht. Nur 13 % werden an Nachhaltigkeitskriterien ausgerichtet.
OB Reith wies darauf hin, dass Jürgen Baumer 2016 einen Fächer zu Produkten und Labels erstellt habe als Hilfsmittel, auf was die Stadtverwaltung achten müsse. Diese liegen aus in den Büros der Mitarbeitenden. Alles was wir hier regional haben sollte an erster Stelle stehen; wenn wir es hier nicht bekommen sollte ein Siegel drauf sein.
Rückfrage: Wie sieht es mit der Verbindlichkeit aus? Gibt es eine Dienstanweisung oder ist es “nice to have”?
Eine Dienstanweisung gibt es nicht. Es hänge immer auch an Personen.
Rückfrage: Wie wird das in die Bürgerschaft kommuniziert?
Es gab sehr viel Kommunikation, bis die zuständigen Stellen weggefallen sind. Das muss wieder besser werden. Die Stadtverwaltung brauche hier die Zivilgesellschaft, die unterstützt.
Rückfrage: Wie erfolgt das Monitoring? Wie kann nachhaltige Beschaffung stärker strukturell verankert werden? Wie könnten Hürden (z.B. bei dezentraler Beschaffung) überwunden werden?
Christoph Dibon erklärte, dass die katholische Kirchengemeinde es hier einfacher habe, weil die Menschen, die beschaffen, weniger seien. Einmal im Monat gäbe es nach dem Gottesdienst einen Verkaufsstand, wo alles nötige wie Kaffee direkt gekauft werde. Recylingpapier wird vom Gemeindebüro beschafft. Es ist zu 96 % sichergestellt, dass beschafft wird entsprechend der Selbstverpflichtung.
Rückfrage: Wie werden die Öffentlichkeit bzw. die Gemeindemitglieder informiert? Es wird direkt mit Einzelnen gesprochen. Im Gemeindebrief wird regelmäßig berichtet z.B. bei der Rezertifizierung. Zwei Mal im Jahr berichtet er vor der Gemeinde darüber.
Hanne Ueltzen betonte, dass der Verein sich bemüht habe, das Anliegen immer wieder in die Stadt zu tragen, leider mit wenig Resonanz. Auch in der Öffentlichkeit ist die Fair-Trade-Stadt verschwunden. Wir unterstützen gerne, wir haben auch gute Kontakte zu Fachorganisationen, man müsse nicht alles neu erfinden. Es gibt viele Kommunen, die weiter sind. Wir können da Kontakte vermitteln.
Veronika Gerlach unterstrich, wie wichtig Siegel und Transparenz bei der Herkunft der Produkte sei. Sie habe auch bei Büromaterial, Beleuchtung, Energielieferant ganz auf Nachhaltigkeit umgestellt. Ihren Lieferservice leiste sie weitgehend mit einem E-Lastenrad.
Simon Gerbith meinte, dass der Faire Handel in der Schule zurzeit zu kurz komme. Nur die AG kümmere sich darum, leider wenige Schüler. Jeder achte auf sein Geld. In der Mensa würde das gar nicht berücksichtigt. Eine gute Idee fände er, einen Fair-O-Mat in der Schule aufzustellen.
Bei der dritten Gesprächsrunde ging es um Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE).
Was braucht es dafür an Schulen? In der Stadt? Welche Angebote und Freiräume braucht es dazu? Wie unterstützt die Stadt?
Simon Gerbith berichtet, dass sich die AG Lust auf Zukunft fast immer 1 x in der Woche trifft, und alle Schüler*innen immer wieder dazu eingeladen werden. Für Angebote z.B. in der Eingangswoche oder in Projektwochen brauche es Unterstützung von außen, damit mehr Schüler*innen erreicht werden.
OB Reith hofft, dass mit dem neuen Steuerungskreis und mit der neuen Ansprechpartnerin Birgit Hamm hier wieder mehr passiert. Sehr gerne unterstütze die Stadt durch Kooperation, z.B. bei den Kitas, oder mit dem ökologischen Fußabdruck.
Hanne Ueltzten wies nochmal auf die Jubiläums-Kooperationen hin, v.a. mit den Kitas und Schulen. Auch empfange man gerne Gruppen von Schüler*innen im Weltladen.
Herr Dibon erwähnte die Sternsinger, die gute Bildungsarbeit machen. Aber es gäbe noch Luft nach oben.
Bei den Wünschen und Visionen war sich die Runde einig, dass man viel von der zukünftigen neuen Steuerungsgruppe erhoffe, aber auch mehr Unterstützung von der Stadt. Die gestarteten Kooperationen sollen weitergeführt werden
Bei der Öffnung der Runde für das Publikum gab es viele Fragen, Kommentare und Ergänzungen.
Die Gemeinderätin Völker ergänzte, dass auch der AK Energie viel BNE mache. Auch die Holzbauinitiative der Stadt zeige, dass sich etwas bewege. Gemeinderätin Schäfer-Weber zeigte sich erfreut, dass Birgit Hamm die neue Aufgabe übernähme.
Sie wies darauf hin, dass beim Leitbildprozess mit den Nachhaltigkeitszielen die Anliegen aufgegriffen worden seien. Auch beim Caterer für die Schulmensen habe man einen regionalen Anbieter gefunden. Frau Pfisterer-Preiß ergänzte, dass die Mensa Verpflegung und die Bewertungskriterien nochmal angeschaut werden sollten, wenn die aktuellen Verträge in ein paar Jahren ausgelaufen seien. Christoph Rau von der Ev. Kirchengemeinde betonte, dass noch viel Sensibilisierung nötig sei, um Menschen in den Verwaltungen und in der Stadt zu motivieren, umzudenken.
Weitere Stimmen forderten, den Gewerbeverein mit an Bord zu holen.
Kritik wurde geäußert, dass die Soziale Frage nicht genügend berücksichtigt werde, weil sich manche Menschen die teureren nachhaltigen Produkte nicht leisten könnten. Dem folgten Hinweise, dass es Tafelladen und FairTeiler gebe, dass die Mehrheit der Bürger*innen sich die höheren Preise aber durchaus leisten könnten. Der Faire Handel ist ein Angebot.
Viele Besucher*innen nutzten im Anschluss die Gelegenheit, mit anderen in Gespräch zu kommen, bei fairen Getränken und Snacks, die regen Zuspruch erfuhren.
Die Veranstaltung wurde gefördert durch ENGAGEMENT GLOBAL mit Mitteln des
Wir bedanken uns bei allen Beteiligten ganz herzlich für diese tolle Diskussion.