Eine Stellungnahme
Das EU-Lieferkettengesetz kommt, allerdings stark abgeschwächt
Es war ein guter Tag für Menschenrechte und Umweltschutz: Der Ausschuss der Ständigen Vertreter des Rats der Europäischen Union (COREPER) hat am 15. März 2024 endlich für das EU-Lieferkettengesetz gestimmt – nachdem die FDP und insbesondere Bundesjustizminister Buschmann in den letzten Monaten nichts unversucht gelassen hatten, das Gesetz noch zu Fall zu bringen. Und das, obwohl es eigentlich bereits im Dezember eine Einigung in Europa gegeben hat, an der auch die Bundesregierung mitverhandelt hatte.
Doch nach vielen verschobenen Abstimmungen kann das Gesetz nun endlich die letzten offiziellen Schritte nehmen.
Mit der Entscheidung für das EU-Lieferkettengesetz gibt es zukünftig in ganz Europa verbindliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen.
Konkret bedeutet das:
Große Unternehmen müssen künftig prüfen, ob es in ihren Lieferketten Risiken für Menschenrechts-verletzungen und Umweltschäden gibt. Wenn sie solche Risiken identifizieren, müssen sie diese priorisieren und dann Gegenmaßnahmen ergreifen. Eine weitere, ganz wichtige Neuerung: Betroffene von Menschenrechtsverletzungen, die in den Lieferketten europäischer Unternehmen um Gerechtigkeit kämpfen, erhalten endlich einen besseren Zugang zu Recht. Durch die Haftungsregelung, die im EU-Lieferkettengesetz enthalten ist, haben sie künftig die Möglichkeit, Schadensersatz von Unternehmen einzuklagen – wenn Unternehmen den Schaden hätten verhindern können, aber nicht aktiv geworden sind. Dies ist eine entscheidende Neuerung gegenüber dem deutschen Gesetz.
Möglich wurde dies nur, weil es massive Zugeständnisse an Bedenkenträger gab. Der neue Kompromiss zum EU-Lieferkettengesetz ist damit an einigen Stellen leider deutlich schwächer ausgefallen, als es die Trilog-Einigung im Dezember vorgesehen hätte:
Weniger Unternehmen erfasst:
Frankreich hat im letzten Moment durchgesetzt, dass Unternehmen mehr als doppelt so groß sein müssen wie ursprünglich vereinbart, um unter das Gesetz zu fallen. Erfasst werden Unternehmen nur, wenn sie mehr als 1000 Mitarbeiter*innen beschäftigen und einen Jahresumsatz von mehr als 450 Millionen Euro aufweisen – eine Schwelle, die im deutschen Lieferkettengesetz nicht vorgesehen ist. Zur Unternehmens-größe gibt es Übergangsfristen. Selbst in Risikosektoren, die notorisch mit Menschenrechtsverletzungen behaftet sind – wie die Textilindustrie, der Bergbau und der Agrarsektor – müssen sich nur extrem große Unternehmen mit Menschen- und Umweltrechtsverletzungen in ihren Wertschöpfungsketten auseinandersetzen. Wir schätzen, dass durch diese Änderungen die Gesamtzahl der betroffenen Unternehmen von etwa 16.000 auf unter 5.500 sinken wird.
Pflichten für die nachgelagerte Lieferkette weiter eingeschränkt:
Um große Mitgliedstaaten wie Italien zufrieden zu stellen, wurden in der neu ausgehandelten Vereinbarung die Tätigkeiten, die der Sorgfaltspflicht unterliegen, weiter eingeschränkt. Einzelne Bereiche der nachgelagerten Lieferkette wie Entsorgung, Deponierung, Demontage oder das Recycling von Produkten wurden komplett ausgeschlossen. Das bedeutet, dass Unternehmen bei diesen Tätigkeiten keine Risiken und Schäden erkennen und darauf reagieren müssen.
Und dennoch:
Dass das EU-Lieferkettengesetz jetzt wirklich auf dem Weg ist, ist ein Gewinn. Der Paradigmenwechsel ist europaweit gelungen – weg von freiwilligen Selbstverpflichtungen, hin zu verbindlichen Sorgfaltspflichten. Das ist nicht nur für die Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen ein großer Erfolg, sondern auch für die deutsche und europäische Zivilgesellschaft, die unermüdlich für dieses Vorhaben gekämpft hat – und sich dabei erfolgreich einer schier übermächtigen Lobby von einflussreichen Industrie- und Unternehmensverbänden entgegengestellt hat.
Weitere Informationen unter www.lieferkettengesetz.de